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Hans Selye

Stress ohne Distress

Vortrag von Prof. Dr. Hans Selye

Institut für experimentelle Chirurgie und Medizin der Universität Montreal, Kanada

Die Geburtsstunde des Stresskonzepts

Meine ersten  Beobachtungen über einen Zusammenhang, dessen Tragweite ich damals noch nicht ahnen konnte, machte ich im Jahre 1926:

Es war sozusagen die Geburtsstunde des Stresskonzepts. Der an der Deutschen  Universität Prag lehrende Internist, Prof. von Jaksch, führte uns 5 Patienten vor, die an ebenso vielen unterschiedlichen Krankheiten litten: Für jeden Fall sollte eine spezifische Diagnose gestellt werden.  Denn nach den Regeln der klassischen Medizin muss ja, soll jemand behandelt und geheilt werden, zuerst die Diagnose stehen.

Ich erinnere mich noch an ein Kind, das Masern hatte: Sein Anblick hat  bei mir einen bis heute unvergesslichen Eindruck hinterlassen. Das Kind hatte Fieber, fühlte sich krank, war schlecht gelaunt. Die Mutter hatte eine furchtbare Angst. Als Professor v. Jaksch das Kind  aufforderte ,,öffne mal den Mund und sag A“, sah er hinein, zeigte auf kleine weiße Fleckchen und sagte: ,,Das sind Masern“. Auf mich als junger Student hat dieser Vorgang einen unvergesslichen Eindruck  gemacht:

Weder Kind noch Mutter hatten sich beklagt, beide wussten nichts von der Existenz dieser kleinen Fleckchen. Für den Kliniker hatten sie aber einen Wert, sogar einen sehr großen Wert: Sie  waren spezifisch.

Erleuchtung eines Unvoreingenommenen

Als Prof. v. Jaksch die Vorstellung der 5 Patienten beendet hatte, war ich tief beeindruckt, dass man durch  geeignete Fragen und Beobachtungen spezieller Symptome eine Erkrankung diagnostizieren konnte. Plötzlich fiel mir auf, dass nicht ein einziges Wort über eine Beobachtung gefallen war, die für mich, der ich  nichts von Medizin verstand, ganz offensichtlich war. Alle diese Kranken hatten etwas gemeinsam:

Alle sahen krank aus. Mir kam der Gedanke, dass der Körper auf alle schweren Belastungen,  die an ihn gestellt wurden, auf eine immer wiederkehrende, gleiche Art reagieren könnte. Eine Krankheit äußerte sich z. B. in Niedergeschlagenheit, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, dem Bedürfnis, sich  niederzulegen. Außerdem konnte man allen diesen Menschen ansehen, dass sie krank waren.

Allen, denen ich diese Gedankengänge vortrug, lachten mich jedoch aus mit dem Kommentar: ,,Wenn jemand fett  ist, dann muss er fett aussehen.“ Diese Erklärung befriedigte mich jedoch nicht. dass jemand, der beleibt ist, auch dick aussieht, ist ein sichtbarer Tatbestand. Wenn ich aber von jemandem sage, er sähe krank  aus, dann ist das eine Abstraktion: Es ist eine auf subjektiver Ebene wahrgenommene Beobachtung. Mit diesen Gedankengängen blieb ich jedoch allein. Da ich mir nicht vorstellen konnte, als einziger recht zu  haben, wenn alle anderen sagten, die Erkenntnis sei falsch, kam ich schließlich zu der Einsicht, etwas missverstanden zu haben. Vielleicht gab es doch gar kein ,,Syndrom des Krankseins“. So gerieten meine  Gedanken zunächst in Vergessenheit.

Stresstriade: Meilensteine auf dem Wege der Erkenntnis

10 Jahre später, als Assistenzprofessor an der Englischen Universität in  Montreal, gelang es mir dann doch, das Glied zu finden, mit dem sich die Richtigkeit meiner Gedanken als Medizinstudent bestätigte. Mein Lehrer, Professor Collip, war auf der Suche nach einem bisher  unbekannten Eierstockhormon. Da er dieses für sehr labil hielt, legte er Wert darauf, sehr frische Eierstöcke zu erhalten, die ich im Schlachthaus beschaffte. Meine Aufgabe war es außerdem, die Versuche  durchzuführen. Das von meinem Lehrer, einem bekannten Biochemiker, aus den Ovarien extrahierte Hormon musste von mir in Ratten injiziert werden und sollte ganz neue Wirkungen hervorrufen. Wie überrascht waren  wir doch, als sich der Effekt tatsächlich sofort einstellte: Die Tiere wiesen Veränderungen auf, die mit keinem anderen Hormon hervorgerufen werden konnten und die sich immer als Triade darstellten. Diese  wird inzwischen als Stresstriade bezeichnet: Thymolymphatische Atrophie, Nebennierenhypertrophie mit Hyperaktivität und peptische Geschwüre. Alle Versuchstiere wiesen also eine Schrumpfung der Thymusdrüse im  Brustkorb sowie eine Verkleinerung ihrer Lymphknoten auf. Früher kannte man die Bedeutung der Thymusdrüse nicht. Heute weiß man, dass sie Bestandteil des Immunsystems des Körpers ist.

Die  Nebennierenrinden, an den oberen Polen beider Nieren gelagert, wurden größer und röteten sich nach einigen Stunden als Folge vermehrter Durchblutung. Normalerweise haben sie eine weißliche Oberfläche, da sie  aus Fett bestehen, in dem die Nebennierenrindenhormone - die Kortikoide - gelöst sind. Schließlich konnten wir bei den Tieren noch peptische Geschwüre im Magen und oberen Teil des Dünndarms beobachten.

Wir kamen zu dem Schluß, dass durch die eingespritzte Substanz aus den Eierstöcken der Kühe Veränderungen hervorgerufen wurden, die bisher von keinem anderen Ovarialhormon bekannt waren. Es mußte  sich also wohl um ein bisher noch unbekanntes Ovarialprinzip handeln. Also beschlossen wir, einen Test zu machen, an dem alle 26 Professoren des Instituts beteiligt wurden. Jeder mußte sich seine Extrakte  selber herstellen, und jeder benutzte dafür die ihm am geeignetesten erscheinende Extraktionsmethode. In willkürlicher Reihenfolge zusammengestellt und von 1 bis 26 numeriert, standen dann die Fläschchen mit  den Extrakten bereit. Einen Monat lang habe ich an der neuen Versuchsserie gearbeitet, bis ich nach Abschluß des Experiments die willkürlichen Zahlenreihen den Herstellern zuordnen konnte. Da erlebten wir  eine Überraschung: Die Wirkungsaktivität der Präparate war nämlich genau umgekehrt proportional zum akademischen Rang desjenigen, der es hergestellt hatte! Ich wußte zunächst nicht, wie ich dieses Ergebnis  interpretieren sollte. Oder war es etwa so, dass ich, als jüngster am Institut, ein gottgegebenes Talent oder einen Instinkt hatte, Ovarialextrakte herzustellen? So beschloß ich, fortan die Ovarialextrakte  nach eigenen Vorstellungen zuzubereiten, da sie immer aktiv gewesen waren. Nach einer gewissen Zeit wurde ich allerdings stutzig, als ich zu der Erkenntnis kam, dass, wie immer ich diese Extrakte herstellte,  solange ich sie machte, waren sie aktiv. Mit der Interpretation der Ergebnisse wurde es also immer unbefriedigender. Zu unserem Entsetzen stießen wir eines Tages darauf, dass wir gar keine Kontrollgruppe  angelegt hatten. Nicht einer unserer 26 Biochemiker war darauf gekommen! Wir hatten immer nur die Wirkung von Ovarialextrakten untersucht und niemals ein anderes Organ herangezogen! Wie sollten wir auch  darauf kommen, denn schließlich wollten wir ja die Wirkung eines zwar noch unbekannten, aber doch eines Ovarialhormons untersuchen. Also ging ich nochmals ins Schlachthaus und erbat ein Stück Leber, Haut,  Muskel, Gehirn usw., deren Extrakte ich den Ratten verabreichte. Zu meinem Erstaunen waren diese Extrakte dann tatsächlich alle aktiv. Der große Traum von der Entdeckung eines neuen Ovarialhormons war also  dahin. Immerhin, dachte ich, besteht ja noch die Möglichkeit, dass ich ein neues Gewebshormon gefunden habe. In diesem Augenblick fiel mein Blick auf eine Flasche Formalin, eine sehr toxische Substanz, die in  der Histologie zum Fixieren von Gewebe benutzt wird, weil sie Eiweiß sofort ausfällt. Mir kam der Gedanke: Sollten die bisherigen Ergebnisse etwa nur Folge der Toxizität meiner Extrakte sein? Dann müßte  Formalin als toxische Substanz ja auch wirken. Mein Verdacht wurde schnell bestätigt: Von allen Extrakten, die wir jemals nach irgendeiner Methode hergestellt hatten, war Formalin das bei weitem aktivste.  Die Triade hing also von der Toxizität der injizierten Substanz ab. Es handelte sich um das ,,Syndrom des Krankseins“.

Die erste Veröffentlichung über Stress

Am 4.  Juli 1936 wurde dann in der britischen Zeitschrift NATURE mein erster Artikel veröffentlicht. Ich feiere in diesem Jahr also das 40jährige Jubiläum der Stresspublizität. Diese erste Veröffentlichung füllte  aber nur eine Spalte und trug den Titel

,,A syndrome produced by various toxic agents“, ,,Ein Syndrom, das durch verschiedene toxische Einflüsse verursacht wird.“ Leider hatte ich damals die  Bezeichnung ,,toxisch“ genommen und das war falsch.

Stress: Reaktion des Körpers auf jede, auch auf seelische Belastung

Im Jahr 1872 hat der englische Pathologe  Curling Magengeschwüre bei Menschen gesehen, die ausgedehnte Verbrennungen erlitten hatten. Er hatte aus der Sicht des medizinischen Wissens der damaligen Zeit den Schluß gezogen, dass Verbrennungen im Körper  Stoffe hervorrufen können, die, wenn sie durch das Blut in den Magen gelangen, dort Geschwüre hervorrufen. Auch der große deutsche Chirurg Bier hat bereits viele Jahre bevor ich geboren wurde Magengeschwüre  beschrieben, die bei Infektionen nach großen Operationen auftraten. Er kam zu dem Schluß, dass dabei wahrscheinlich toxische Stoffe entstehen, die schädigend auf den Magen einwirken. Aber es gab ja noch die  vielen anderen Begleiterscheinungen einer Krankheit wie Gewichtsverlust, Mattigkeit, Unlust. So kam mir der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht entscheidend ist, ob man dem Tier etwas einspritzt, sondern  lediglich die Tatsache von Bedeutung ist, dass man ihm etwas Böses antut. Wenn man dem Tier z. B. einen Knochen bricht, ihm Blut entnimmt, es verbrennt. Oder wenn man ihm ein seelisches Leiden zufügt, es zum  Beispiel frustriert, indem man es in seiner Bewegungsfreiheit behindert.

Das war tatsächlich der Fall! Die Ratten wurden immobilisiert, indem wir ihnen die Pfötchen mit Watte umwickelten und sie  so auf einem Brett befestigten. Sie hatten alles, aber es fehlte ihnen - die Freiheit. So fanden wir bei der Sektion dieser Tiere auch immer das Bild des Stresses wieder: Thymusdrüse und Lymphknoten ganz  klein, die Nebennierenrinde vergrößert, nicht mit gelber, sondern mit stark geröteter Oberfläche. Sie produziert also große Mengen Kortison. Die Innenfläche des Magens aber zeigte Geschwüre in der  Schleimhaut: die Stressgeschwüre.

Stress ist also nicht die Reaktion auf irgendeine toxische oder sonstige schädigende Noxe, sondern er ist einfach die Reaktion des Organismus auf  jede  Beanspruchung. Man kann ihn nicht messen, aber seine Auswirkungen lassen sich als Triade an den Versuchstieren mit dem bloßen Auge darstellen. In der Vergangenheit hatte man solche Beobachtungen  zwar auch gemacht, sie aber nicht richtig interpretiert und ihnen nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Denn Symptome der Triade waren, wie ich oben erwähnte, auch früher schon beschrieben worden.

Nun hören wir täglich, dass jemand unter ,,Stress“ steht. Stress ist aber ein lebensimmanenter Vorgang und hat eine neutrale biologische Wertigkeit. Auch im Schlaf stehen wir unter Stress. Ohne  Stress ist nur der Tod. Zuerst dachte ich ja auch, dass es nur toxische Stoffe sind, die das Syndrom hervorriefen. Mit verfeinerten Methoden konnte man dann aber feststellen, dass es Hormone sind, z. B. das  Adrenalin und die Kortikoide, die immer dann in großen Mengen ausgeschüttet werden, wenn man den Körper irgendeiner Belastung aussetzt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um angenehme oder etwa  unangenehme Erlebnisse handelt. Der biologische Stressmechanismus läuft immer dann ab, wenn der Körper gefordert wird.

Um dem Begriff also gerecht zu werden, müssen wir uns die beiden Extreme  des Stressmechanismus vor Augen halten: den EuStress und den DiStress. Es gibt einen guten, positiven Stress, z. B. wenn wir eine große Freude empfinden, etwas Angenehmes erleben. Das ist der EuStress.  Leiden wir aber unter einer Krankheit, erleben wir eine große Enttäuschung, ein Unglück, eine Frustration, dann erleiden wir einen DiStress. Vollkommen unspezifisch im Sinne der biologischen Reaktion ist  deshalb nur Stress als solcher. Die klassische Definition muß deshalb lauten: ,,Stress ist die Antwort des Organismus auf jede Beanspruchung.“

Wie immer die Beanspruchung ist, ob es sich  um eine große Freude, eine Ekstase, einen großen Schaden, einen großen Schmerz handelt: Die Reaktionen sind immer dieselben.

Stresshormone: Nutzen und Schaden

Bei  zahlreichen medizinischen Experimenten an Ratten habe ich den Versuch gemacht, die Nützlichkeit von Stresshormonen festzustellen. So habe ich den Tieren Formalin injiziert in einer Menge, die gerade  ausreichte für die Auslösung einer lokalen Stressreaktion, also einer unspezifischen Gewebsreaktion. Eine allgemeine Stressreaktion kam also nicht zustande. Immer wenn sie ein Gewebe schädigen, reagiert es  mit Entzündung. Nach einigen Tagen hat sich ein Schutzwall gebildet, der den übrigen Körper gegen die Ausbreitung des Prozesses und gegen die Einschwemmung von Fremdstoffen und Keimen schützt. Auch unter  Formalineinwirkung nimmt dieser Prozeß seinen Lauf, obgleich gar nichts abzukapseln ist. So kommt es zu einer überschießenden Reaktion. Die Abwehr, ursprünglich als nützlicher Mechanismus gedacht, ist zu  stark und deshalb schädlich. Sie ist hier also gar nicht angebracht.

Ganz anders reagieren Tiere, bei denen wir den Entzündungsvorgang durch Verabreichung von Kortison unterdrücken. Es bildet  sich nur ein kleiner Schorf, das Tier benimmt sich völlig normal. Es zeigt keine Krankheitszeichen. Die Krankheit wurde also an erster Stelle nicht durch das Agens hervorgerufen; was das Tier krank werden  läßt, ist die eigene Reaktionsweise.

Das ist eine Erkenntnis, die auch aus psychologischer Perspektive für viele somatische und psychische Krankheiten beim Menschen gilt: Entscheidend ist  nicht, was mit jemandem geschieht, sondern wie er es aufnimmt. Die Reaktionsweise aber kann durch die eigene psychische Einstellung beeinflußt werden. Für den Menschen trifft das in besonderem Maße zu, weil bei ihm Gemütsregungen die am häufigsten auftretenden Stressoren sind. Im Gegensatz zu obigem Beispiel müssen Stresshormone wie Kortison aber keineswegs immer nützlich sein. Sie hemmen ja nicht nur Entzündungsvorgänge, sondern schwächen auch die immunologische Abwehrlage.

Das konnten wir bei Experimenten an Ratten sehr gut beobachten. Ratten sind gegen Tuberkulose normalerweise nicht empfindlich und bleiben nach Verabreichung einer hohen Dosis Tuberkelbazillen  gesund. Wurde aber die Abwehrkraft durch Verabreichung einer hohen Kortisondosis zerstört, so werden die Tiere mangels Abwehrkraft krank; sie sterben alle.

Nach Formalineinwirkung war es also  nützlich, die Körperabwehr zu zerstören, nach Verabreichung von Tuberkulose-Bakterien war es schädlich.

Kortison wird deshalb unter die sogenannten syntoxischen Hormone eingereiht. Syntoxisch  bedeutet, mit dem angreifenden Stoff in Symbiose leben, ihn zu dulden, ohne dagegen zu reagieren. Die chemische Sprache der syntoxischen Hormone sagt: Bleib ruhig, es lohnt sich nicht zu kämpfen, die Sache  ist es nicht wert.

Manchmal muß man sich aber wehren; im Gegensatz zu den syntoxischen stehen deshalb die katatoxischen Hormone und Körperreaktionen, weil sie die Zerstörung des schädlichen  Agens bewirken.

Dynamik des Stressmechanismus

Für den Verlauf einer Stressreaktion sind deshalb vier Faktoren maßgeblich; sie stellen ein kinetisches Rezept dar,  das Sie sowohl auf eine Maus als auch auf einen Einstein anwenden können:

    1. die Stressoreinwirkung,

    2. der spezifische Effekt,

    3. der innere Bedingungseffekt, also die innerlichen Konditionierungsfaktoren und

     4. die äußeren Bedingungseffekte, also die von außen konditionierenden Einflüsse.

Jeder Einfluß auf den Körper, jede Inanspruchnahme stellt einen Agens dar und hat zwei Effekte: Den Stressoreffekt, von dem hier die Rede ist, und den spezifischen Effekt. In der Kälte wird uns  kalt, in der Hitze warm; hier werden ganz spezifische Reaktionen für Kälte oder Hitze ausgelöst. Freude macht EuStress, Leiden macht DiStress, das sind ebenfalls spezifische Reaktionsformen.

 Aber Stress ist immer gleich. Nichtsdestoweniger können verschiedene Stressoren verschieden wirken, denn es gibt keinen reinen Stressor. Stress ist immer an etwas spezifisches gebunden. Es ist der Stress der  Infektion, der Stress des Leidens, der Stress der Freude und daher hat man ihn nie sehen können, weil er nie rein erscheint. Aber Abstraktionen sind in der Biologie sehr wichtig. Auch Leben ist eine  Abstraktion; im Reinzustand gibt es Leben nicht! Es ist immer das Leben einer Maus, eines Menschen, einer Pflanze. Der Stressoreffekt hängt aber auch davon ab, wie man darauf reagiert, denn derselbe Stressor  wird auf verschiedene Leute unterschiedlich einwirken und verschiedene Stresskrankheiten hervorrufen, z. B. einen Herzinfarkt, ein Magengeschwür oder eine Geisteskrankheit, sofern jemand dazu prädisponiert  ist. Jemand, dessen Eltern geisteskrank waren, wird vielleicht normal leben. Aber unter starker Stressbelastung ist es viel wahrscheinlicher, dass sich bei ihm eine Geisteskrankheit entwickelt.

 Ein anderer, bei dem ein familiärer Hochdruck besteht, wird auf Stress mit Hochdruck reagieren. Auch um einen Herzinfarkt zu bekommen, muß man dazu prädisponiert sein. Ein zehnjähriger Junge kann laufen  soviel er will, an einem Herzinfarkt wird er nur selten sterben, während ein älterer Herr, der bereits an einer Arteriosklerose leidet, vorstigmatisiert ist, um mit einer Herzkrankheit zu reagieren und sogar  daran zu sterben.

Zur endogen konditionierten Reaktionsfähigkeit gesellen sich schließlich noch exogen bedingte, also von außen einwirkende Faktoren. Dazu rechnen z. B. die Diät eines Tieres,  die Umwelt, die Temperatur, die gesellschaftliche und soziale Umgebung. Sie alle werden am Verhalten eines Lebewesens mitbestimmend sein.

Altern - ein biochemischer Prozeß

Auch das Altern ist ein biochemischer Prozeß. Wir hatten Ratten einer bestimmten chemischen Diät ausgesetzt. Diese Diät ist zwar nicht schädlich; wenn wir das Tier aber einer Muskelarbeit  aussetzen, die ein normal ernährtes Tier sehr gut vertragen würde, so sterben die Ratten mit der chemischen Diät immer unfehlbar an Herzinfarkt. Zur Demonstration haben wir deshalb zwei Ratten des gleichen  Wurfs, also Geschwister, genommen, und mit der chemischen Diät ernährt. Während die eine Ratte dem oben genannten Schicksal erlag, erhielt die andere ein katatoxisches Hormon. Dieses kann zwar nicht gegen  Stress als solchen schützen, wohl aber die Stresskrankheit verhindern, so dass die Tiere vollkommen normal bleiben. Entsprechend haben wir auch eine chemische Diät entwickelt, die einen vorzeitigen  Alterungsprozeß einleitet; wir wollten feststellen, ob man eine Ratte sozusagen zum Kandidaten für vorzeitige Vergreisung machen kann.

Die aus dem gleichen Wurf stammenden Ratten wurden also  geschoren, damit man die Haut besser beobachten kann. Sie hatten gute Zähne, hatten sich bereits fortgepflanzt, waren also der Inbegriff der Rattengesundheit. Als die Geschwister zwei Monate alt waren, haben  wir einem nur noch die Altersdiät verabreicht. Die Ratte frißt die Diät sehr gern, sie bleibt auch gesund, aber sie kann das Abfließen der Zeit nicht ausstehen. Sie altert schneller, da alle Stresse des  täglichen Lebens auf sie einen großen und einen alternden Einfluß haben. Nach vier Wochen bietet die eine Ratte dann das Bild des Alters: Runzlige Haut, Faltenbildung, buckliger Rücken, lückenhaftes Gebiß.  Sie bekam Katarakte in den Augen und Verkalkungen in den Arterien. Die Sexualdrüsen wurden atrophisch, die Muskeln waren geschwunden. Gewöhnlich sterben sie an einer Gehirnblutung oder einem Herzinfarkt.

Nun wollte ich das Experiment mit den Ratten nicht nur deshalb erwähnen, um Ihnen zu beweisen, dass man eine Ratte vorzeitig altern lassen kann. Man kann experimentell auch gegen das Altern  vorbeugen. Denn das Tier, das trotz Altersdiät hinterher eine normal aussehende Ratte darstellt, hatte ein katatoxisches Hormon erhalten. Es hatte dieselbe Diät und war ebenso alt, aber das katatoxische  Hormon konnte den chemischen Effekt auf die Gewebe verhindern, weil es die chemischen Substanzen zerstört, die das Altern induzieren.

Auch bei Menschen ist das Altern ein biochemischer Vorgang.  Jede Stressepisode hinterläßt bleibende chemische Narben, und wenn sie nun zuviel Stress ausgesetzt sind, der sich kumuliert, oder etwa zuviel DiStress erleiden, so altern sie schneller. Ob es sich bei  Menschen nun um dieselbe Art des Alterns wie bei der Ratte handelt, vermag ich nicht zu sagen und möchte auch keine falschen Hoffnungen erwecken. Bisher hat man es jedenfalls noch nicht ausprobiert.

Imperativ unserer Zeit: Abbau von Distress

Als ich vor 40 Jahren die Untersuchungen über Stress begann, wußte ich auch nicht, was dabei herauskommen würde. Schließlich  hat niemand spezifische Kenntnisse über eine neue Erfindung, bevor er sie nicht auch wirklich gemacht hat. Zunächst ist man immer ein Amateur. Das war aber eben mein großer Vorteil als Student gegenüber den  gelehrten Professoren der damaligen Zeit: dass ich überhaupt nichts von Medizin verstand, unbeeinflußt war und deshalb auch kein Vorurteil hatte. Hätte ich schon mehr über die Medizin gewußt, ich hätte das  Stresssyndrom niemals erkannt.

Nun spricht man immer von Stress, der verhindert werden muß; gemeint ist dann aber DiStress, der schädliche, der überschießende Stress. Leider kann man ihn beim  Menschen nicht wie bei Ratten chemisch verhindern, sonst würde ich viel jünger aussehen.

Auch beim Menschen ist es aber erforderlich, dass er den Distress, den Hyper-Stress abbaut, indem er  seinen Körper regelmäßig ruhigstellt, wie es in der Psychologie mit verschiedenen Entspannungs- und Beruhigungstechniken angestrebt wird. Sie alle interessieren sich für Transzendentale Meditation; ich möchte Ihnen deshalb erklären, wie die Zusammenhänge zwischen Transzendentaler Meditation und Stress sind und wie weit  psychologische Aspekte dabei eine Rolle spielen.

In unserem Tagesablauf ist schon der Schlaf eingebaut, er soll der Regeneration dienen. Die Belastung der meisten Menschen ist heutzutage aber so  groß geworden, dass wir zusätzlich noch eine geistige Technik benötigen, um den Stress zu eliminieren. In diesem Sinne ist die Transzendentale Meditation sogar in der Lage, einen tieferen Entspannungszustand  hervorzurufen als der normale Schlaf. Dadurch bekommen Sie Energien frei für mehr Aktivität und Kreativität. Die Untersuchungen über die Wirkungen der Transzendentalen Meditation zeigen nämlich, dass ihre  physiologischen Auswirkungen denjenigen genau entgegengesetzt sind, die die Medizin als typische Symptome von Stress identifiziert hat. Dementsprechend sind die heilsamen Wirkungen der Transzendentalen  Meditation am deutlichsten bei solchen Erkrankungen, die als Stresskrankheiten  -  als psychosomatische Krankheiten - bekannt sind, also durch gescheiterte Anpassungsbemühungen an die  Stressfaktoren des täglichen Lebens verursacht werden. Nun habe ich ein biologisches Experiment gemacht, bei dem ich auf der Ebene von Zellen und Molekülen eine Gesetzmäßigkeit beobachten konnte, die auch  bei zwischenmenschlichen Beziehungen und im Verhältnis der Nationen zueinander besteht und die ein glückliches Miteinanderleben ermöglicht.

Maharishi bietet uns eine Technik an, die man leicht  erlernen und mit der man sich gegen übermäßigen Stress schützen kann, um kreativ zu bleiben. Er hat sich zum Ziel gesetzt, dem Einzelmenschen sein volles geistiges Potential zu erschließen, die Leistungen  der Regierungen zu verbessern und Probleme der Erziehung, der Bildung, des Familienlebens und der Kriminalität zu lösen. Dabei ist es für den Erfolg des Programms der Transzendentalen Meditation besonders  förderlich, dass man mit der Technik in wenigen Stunden vertraut werden kann und dann zwei Sitzungen von je 15 bis 20 Minuten täglich ausreichend sind (Anmerkung: Untersuchungen nach 1976 haben gezeigt, dass  diese Meditationsdauer heute wegen Zunahme der allgemeinen Belastung gegenüber dem Jahr 1975 nicht mehr ausreicht und im allgemeinen circa 25 – 30 Minuten angemessen sind).  Die Transzendentale  Meditation beeinträchtigt so insbesondere nicht den Arbeitsablauf extrem erfolgsorientierter Menschen, weil sie überall ausgeübt werden kann.

Die von mir erarbeiteten biologischen  Gesetzmäßigkeiten und die Technik der Transzendentalen Meditation von Maharishi Mahesch Yogi haben aber noch etwas Gemeinsames: Beide sind unabhängig von Religion, Politik, Philosophie oder Ideologie. Beide  Lehren beruhen auf Naturgesetzen.

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